Die Wahrheit und Schönheit unseres Glaubens bezeugen

Die Wahrheit und Schönheit unseres Glaubens bezeugen

Eine ergänzende Lektüre von „Das christliche Zeugnis in einer multireligiösen Welt“. Vortrag von Prof. Johannes Berthold zum Studientag der ACK Sachsen am 5. Februar 2015 in Dresden1

Liebe Schwestern und Brüder,

der französische Philosoph Jean-François Lyotard nannte als Hauptkennzeichen der Postmoderne das „Ende der Großen Erzählungen"2. Er bezog dies vor allem auf die Epoche der Aufklärung, aber auch des deutschen Idealismus. Beide seien mit ihren Allerklärungsversprechen am Ende. Seine Formulierung gilt natürlich auch für die Welt der Religionen, die allesamt „Große Erzählungen“ mit je eigenen absoluten Wahrheiten sind.

Lyotard beklagt dieses Ende nicht, sondern rühmt es wie eine Befreiung. Er singt im Blick auf die Wahrheitsfrage das Lob des Polytheismus. Denn absolute Wahrheiten seien immer auch Diktatoren, träten mit ihren Herrschaftsansprüchen nicht nur in den Raum der Herzen, sondern auch den Raum der Politik3.

Am Ende blieb Lyotard von der altgriechischen Trias - der Suche nach dem Wahren, dem Guten und dem Schönen - nur noch die Ästhetik, der Trost des Schönen und Erhabenen.

Nun reizt es mich allerdings, zu dem Schönen auch wieder das Wahre zu denken. Und offenbar nicht nur mich, sondern auch die Missionssynode der EKD im Herbst 1999 in Leipzig, die so formulierte: „Wir haben den Auftrag, Menschen die Augen zu öffnen für die Wahrheit und die Schönheit der christlichen Botschaft. Wir wollen sie dafür gewinnen, dass sie sich in Freiheit an Jesus Christus binden und sich zur Kirche als der Gemeinschaft der Glaubenden halten. Diese Bindung geschieht grundlegend in der Taufe. Wer getauft ist, gehört fortan zu Christus.“4

Bevor ich das tue, möchte ich eine kurze Einschätzung des Papiers „Christliches Zeugnis in einer multireligiösen Welt“ geben.

1. Die Formulierung einer gemeinsamen Ethik der Mission – eine Würdigung

Ich teile die Bemerkung von Dr. Geoff Tunnicliffe, dem Direktor der Weltweiten Evangelischen Allianz, damals bei der Vorstellung des Papiers: „Wirklich Neues gäbe es zwar nicht zu sagen, aber es sei noch nie in dieser Weise und noch nie in solcher Kooperation gesagt worden.“5

Gerade das Letztere ist in seiner Besonderheit nur zu würdigen. Zu würdigen ist auch die gemeinsame Formulierung einer Ethik der Mission, die den oft verworrenen Flusslauf der Kirchen- und Missionsgeschichte hinaufgeht bis zur Quelle, dort wo das Wasser noch frisch sprudelt – zu Christus selbst. Auch im Blick auf eine Ethik der Mission gilt also das reformatorische solus christus. Aus seinem Vorbild leitet das Papier einen Verhaltenskodex ab, der uns auch heute verpflichtet: Aufruf zu uneingeschränkter Liebe und zu einer Haltung des Dienens, zur Wahrung der Freiheit und Würde eines jeden Menschen, die Arroganz und Herablassung anderen gegenüber ausschließt. Absage an Zwang und Täuschung und „falsches Zeugnis“ über andere Religionen, vielmehr Wertschätzung dessen, was auch bei anderen gut und wahr ist. Ablehnung von Gewalt oder Ausnutzung von Notlagen. Und die Einsicht, dass Bekehrung allein ein Werk des Heiligen Geistes sei und nicht eigener Überzeugungskraft.

Niemand kann ernsthaft diese Prinzipien infrage stellen. Jeder findet sie, der zurückgeht zu dieser Quelle. Ich erinnere nur an Wilhelm Stählin, der sagte: „Zu den Voraussetzungen wirklicher Hilfe gehört immer die Selbstlosigkeit, die niemals die einem anderen Menschen gebotene Hilfe als Mittel zum eigenen Lebensvorteil – und wäre es nur der eigenen Ehre – missbraucht. Auch die von der Kirche und ihrer Inneren Mission geübte Diakonie darf niemals zum Mittel der eigenen Machtübung oder als Grund der Selbst-Empfehlung der Kirche werden. In dieser Hinsicht ist das Schweigegebot, das der Herr selbst den von ihm Geheilten auferlegt hat, von großer Tragweite.“

So schärft die Erklärung die Sensibilität dafür, dass unser Zeugnis nicht durch unlautere Methoden und unerlöste Motive verdunkelt wird. Doch geschieht nicht nur eine notwendige Selbstkritik. Die Erklärung wirbt auch um Vertrauen bei ihren Gesprächspartnern, indem sie sich zu erkennen gibt und „Gesicht“ zeigt. Auch formuliert sie als Ziel, auf ein Klima des gegenseitigen Respekts, der Verständigung und der Zusammenarbeit in einer globalen Welt hinzuwirken, in der Religionen schon längst nicht mehr in isolierten Räumen leben. Auch dieses Werben um Zusammenarbeit und Versöhnung muss man würdigen, ebenso wie das mutige Wort für Religions- und Glaubensfreiheit, die immer auch die Freiheit der anderen ist, den eigenen Glauben öffentlich zu bekennen, auszuüben, zu verbreiten und auch zu wechseln. Man wünscht sich deshalb, dass dieses Papier auch von Vertretern anderer Religionen gelesen wird. Wenn mit all dem – wie es heißt – ein Impuls gegeben werden soll, die eigene missionarische Praxis zu reflektieren, hat das der Evangelische Gnadauer Gemeinschaftsverband bereits im Jahre 2010 getan. (s. Anlage)

Nun lädt die Erklärung selbst zu einer ergänzenden Lektüre ein, wenn sie dazu ermuntert, die eigene Identität zu stärken (Empfehlungen Nr. 3). In diesem Sinn möchte ich etwas zur Wahrheit und Schönheit unseres Glaubens sagen.

2. Jesus Christus als die Mitte unserer Mission

Die Erklärung lebt von der Selbstbegrenzung. Ihr geht es nicht um das „Was?“, sondern das „Wie?“ der Mission, also um praktische Fragen. Gerade aber der gemeinsame Gang zur Quelle – zu Jesus Christus – zeigt aber nicht nur Haltungen, sondern eben auch Inhalte. Sie werden in der Erklärung durchaus angedeutet. Insofern gebe ich Michael Biehl recht, wenn er von einer impliziten Missionstheologie spricht6.

Es wird z. B. vom „Vorrecht und der Freude“ gesprochen, Rechenschaft abzulegen über die Hoffnung, die in uns ist. Ebenso wird von Jesu Verkündigung des Reiches Gottes gesprochen. Das alles sind große, sinntragende Worte. Allerdings – so bemerkt Biehl richtig – halte sich die Erklärung sprachlich genau dort zurück, wo Mission auf Veränderungen bei anderen ausgerichtet ist. So sei z. B. nur zweimal von Bekehrung die Rede. Auch hier verrät die Sprache eine implizite Theologie.

Meine inhaltliche Ergänzung des Papiers in diesem kurzen Statement soll eine zutiefst christologische sein – nämlich dass Christus nicht nur das Vorbild unserer Mission ist, sondern auch ihr Inhalt. Wir glauben nicht nur wie Christus, sondern an Christus. Er ist auch nicht nur der Bote des Reiches Gottes, er ist das Reich Gottes selbst!7

In diesem Sinne lassen alle Evangelien klar erkennen, dass Jesus bereits vorösterlich in einer einzigartigen Verbindung zu Gott stand und aus dieser heraus auch sich selbst zum Inhalt seiner Verkündigung gemacht hat. Der jüdische Gelehrte Jacob Neusner hat dies in einem fiktiven Dialog auf den Punkt gebracht. In einem seiner Bücher ist er mit Christus einen Tag lang unterwegs durch Galiläa, hört und sieht, was dieser spricht und tut. Am Abend aber bespricht er sich mit einem weisen Rabbi, um alles an der Thora zu prüfen. Da heißt es: „'Und dies', fragt der Meister, 'hatte Jesus, der Gelehrte zu sagen?' Ich: 'Nicht genau, aber ungefähr.' Er: 'Was hat er weggelassen?' Ich: 'Nichts'. Er: 'Was hat er dann hinzugefügt?' Ich: 'Sich selbst.'”8

Und Eberhard Jüngel sagte genau dies, wenn er schreibt, dass Gott „in der Identität mit Jesus Christus [...] das eigentliche Geheimnis der Welt“ ist9. Ebenso meinte Gerhard Ebeling, unser Glaube an Jesus stehe und falle damit, „dass wir es in diesem Menschen mit Gott selbst zu tun haben.“

Das Evangelium ist also, dass uns in Jesus Christus etwas bis dahin nicht Gehörtes gesagt wird – „etwas Schönes [...], ein Ja zum Leben, eine Absage an den Tod [...].“10. Im Dialog mit anderen Religionen können wir dies nicht verschweigen, wollen wir nicht „falsch Zeugnis abzulegen“ ablegen von unserem eigenen Glauben11.

Doch wie kann das geschehen?

An einer Stelle in unserem Papier wird an die Areopagrede des Paulus erinnert. Als sich der Apostel auf den Areopag stellt, stellte er sich in die damalige polytheistische Welt und versuchte, das Evangelium aus dem semitischen Raum auch in hellenistischen Boden einzupflanzen. Er und mit ihm später die altkirchlichen Apologeten wurden darüber zu „Vätern der Theologie“, weil sie erst einmal die Muttersprache ihres eigenen Glaubens verstehen lernen mussten, ihre Grammatik und Syntax. Ein Dialog der Religionen lebt davon, dass jeder das Eigene kennt – das, was nur er zu sagen hat. Alles andere wird langweilig12. Und auch der Pluralismus unserer Gesellschaft lebt davon, dass die unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen ihre Wahrheitsansprüche engagiert im Gespräch vertreten13.

Interessant ist nun, dass die altkirchlichen Apologeten in diesem Bemühen an die damalige Aufklärung anknüpften, die gegen den Mythos der Religionen den Logos gesetzt hatten. Indem sie an den Logos der Philosophen anknüpften, knüpften sie an das Rationale in dieser Aufklärung an. Diese Rationalität muss der Religion erhalten bleiben – auch im heutigen Dialog – schärft sie doch das so dringend nötige Unterscheidungsvermögen auch in Sachfragen, denen der Dialog nicht aus dem Weg gehen darf14.

Die Anknüpfung an eine bestehende Denkfigur war Annahme, aber auch Verwandlung. Denn der Logos der griechischen Philosophie war reines Sein und reines Denken, absolut in sich ruhend, transzendent, unwandelbar, leidensunfähig, beziehungslos zur Welt und zum Menschen. Indem nun Christus mit dem Logos identifiziert wurde, wurden nun alle Leidenschaften des biblischen Gottes in den Logosbegriff hineingetragen, der eben nicht nur reines Denken, sondern vor allem reine Liebe – Agape – ist. In der Glut dieser Liebe wurde der Gott der Philosophen umgeschmiedet. Wahrheit und Liebe werden identisch.

Hieraus konnte ein Missionsgedanke geboren werden, der ohne Herrschaftsanspruch auftritt. Nicht umsonst waren viele Apologeten Märtyrer. Hier lag auch die höchste Garantie der Toleranz – eines Umgangs mit der Wahrheit, deren einzige Waffe sie selbst und damit die Liebe ist. Die Wahrheit kann sich ja auch mit dem Hass verbinden, der „hässlich“ macht, ihre Schönheit und auch ihre Freiheit zerstört. Wahrheit und Liebe aber sind die Schönheit unseres Glaubens; und sie ist immer mit Freiheit verbunden. Denn eine erzwungene Wahrheit kann keine Wahrheit sein, weil sie der Liebe widerspricht. Deshalb hat „Gott, der Schöpfer“ uns so frei gemacht, „dass sogar sein Zwingen unsere Liebe nicht erzwingen könnte.“ Und deshalb will Gott „uns gegenüber allmächtig sein, dass er unser Herz gewinnt durch seine Herablassung im Sohn, im Kreuz des Sohnes. Keine andere Allmacht Gottes kann unser Herz erobern und öffnen.“ (Emil Brunner)

3. Die Wahrheit in kleinen Erzählungen

Die Wahrheit und Liebe leuchtet auf im Antlitz Jesus – seinen Worten und seinem Leben. Doch wie sprechen wir am Ende der großen Erzählungen davon?

Zunächst: Aus dem Dialog ist auch in postmodernen Zeiten die Wahrheitsfrage nicht auszugrenzen. Ich gebe gern Jürgen Ziemer Recht, der sagt: „Es gibt ein (oft uneingestandenes) Suchen nach Wahrheit, also nach etwas, ‚das gilt‘. Kultureller Pluralismus bedeutet auf der Ebene der Wertorientierungen des Individuums ja keineswegs: Alles ist egal und die Wahrheit (also Antworten auf die Fragen nach Gott, Mensch, Sinn etc.) kennt eh keiner. Pluralismus macht die Suche nach Wahrheit vielmehr erst dringend. Es ist nicht so, dass die Wahrheitsfrage nicht mehr gestellt werden dürfte, weil sie niemanden interessiert. Im Gegenteil.“15

Dabei hat jede Religion, die sich selbst ernst nimmt, ihre eigene Wahrheit, die auch absolut sein muss, will sie doch im Leben und im Sterben trösten. Dass wir die Wahrheitsfrage nicht losbekommen, zeigt selbst der Relativismus, wenn er paradoxerweise sagt: „Die Wahrheit ist, dass es keine Wahrheit gibt.“ und sich selbst mit dieser Aussage ad absurdum führt16.

Die Frage ist nicht die der Wahrheitsansprüche, sondern wie wir damit umgehen. Vielleicht in kleinen Erzählungen, wie sie uns das Evangelium in Fülle anbietet: Heilungsgeschichten, Begegnungsgeschichten – auch mit dem Auferstandenen, Gleichnisse, Streitgespräche, kurze treffende Worte Jesu, von denen oft schon ein einzelnes genug ist, um Menschen fragen zu lassen: „Wer ist dieser?“ oder „Brannte nicht unser Herz?“

In den zahllosen „kleinen Erzählungen“ der Evangelien leuchtet die Wahrheit und Schönheit unseres Glaubens auf. Wir tragen sie weiter in der Hoffnung, dass ihre Überzeugungskraft in ihnen selbst wohnt. Und dass sie das Große und Ganze ahnen lassen, den Horizont öffnen, Sehnsucht wecken.

Ich hatte in den letzten Monaten mit drei ehemaligen Moslems zu tun, die durch nichts anderes Christen wurden als durch solche kleinen Erzählungen: Ein Türke, Student der islamischen Theologie und glühender Islamist, der durch ein einziges Jesuswort über die Heuchelei der Pharisäer seine eigene innere Zerrissenheit erkannte. Ein Inder, hoher Polizeibeamter beim Zoll mit allen Möglichkeiten der Korruption, der in einer konfiszierten Bibel vom Umgang Jesu mit den Zöllnern liest. Ein Iraner, der die Verlogenheit und Härte der iranischen Regierung spürte und Gott als einen Gott der Liebe erkannte.

In keinem dieser Fälle kam das Christentum als religiöser "Hausfriedensbruch", immer war es die Begegnung mit einer Wahrheit, die in der Liebe und Freiheit ihre Schönheit gewann. Keine geschah durch Druck, sondern rührte an eine tief im Inneren liegende Sehnsucht.

Dabei sollte man tatsächlich nicht über andere Religionen „falsch Zeugnis“ abgeben, sondern auch ihre kleinen Erzählungen würdigen. So wie jener Muslim im Zugabteil, in das ein Pfarrer trat. Überall standen Koffer und Taschen und Schachteln, als hätte er all seine Habseligkeiten eingepackt. Nach einer Weile fragte der Mann den Pfarrer, dessen Profession ihm nicht gleich anzusehen war: „Glauben sie an Gott?“ „Ja“, stammelte dieser und setzte an, dies zu erklären. Doch der andere meinte: „Nun, da kann ich getrost frühstücken gehen.“ Er wusste, dass die gemeinsame Gottesfurcht sein Hab und Gut schützen würde17. Sie ist ja schon der Anfang aller Weisheit, die man in jeder Religion schätzen darf. Hier wirkt der Geist, der ohnehin weht, wann und wo er will. Und doch identifiziert er sich als Geist Jesu Christi, der uns nicht nur Gott fürchten, sondern zu lieben und vertrauen lehrt (s. Luthers Erklärung zum 1. Gebot).

Seine Zeugen zu sein macht uns nicht zu Besitzenden, sondern zu Ergriffenen, die nicht verbissen, sondern mit Freimut von dem reden, „was wir gesehen und gehört haben.“ (Apg 4,20). Aus diesem Freimut erwächst eine charmante Mission – ein „friedlicher Wettstreit“. Dieser Wettstreit sollte frei bleiben von Spekulationen über ordentliche oder außerordentliche Heilswege, auch frei von der Enteignung anderer Religionen im Blick auf in ihnen wohnende Wahrheitselemente. „Wir wissen nicht, wie Gott in anderen Religionen wirkt. Was wir als Christen jedoch wissen ist, dass zum Evangelium notwendigerweise der Wunsch nach Anteilhabe aller Menschen gehört.“18

In diesem Sinne heißt es auch im Gnadauer Missionspapier: „Von der biblischen Offenbarung her sind wir einem personal-ereignishaften Wahrheitsbegriff verpflichtet. In diesem Sinne bekennen wir Christus als die Wahrheit, durch welche der in ihm versöhnten Welt Heil zuteil wird. Christus sagt von sich: ‚Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben. Niemand kommt zum Vater, denn durch mich.‘ (Joh 14,6) Das bedeutet: In der Begegnung mit Jesus kommt die Wahrheit ans Licht, auch die Wahrheit über uns. Es entsteht Wahrhaftigkeit. Diese Wahrheit ist nicht beliebig und zugleich verfügen wir nicht über sie. Als Christinnen und Christen erheben wir keinen Absolutheitsanspruch, sondern bezeugen Jesus Christus, der absoluten Anspruch auf jedes Leben hat - und vergessen dabei nicht, dass das zuerst für unser eigenes Leben gilt. Diese Haltung bewahrt vor Unverbindlichkeit und Gleichgültigkeit ebenso wie vor Intoleranz und Fanatismus.“

Impuls

Nachdem Missionsrespekt die Ethik der Mission geklärt hat – ihre Grundlagen und Prinzipien – werden wir mit der Stärkung unserer Identität ermutigt, uns auch über die Inhalte unseres Glaubens zu verständigen. Mission und Dialog setzen die Beherrschung der eigenen „Muttersprache“ voraus, deren innerste Struktur das christologische Bekenntnis ist, „dass wir es in [...] [Jesus Christus] mit Gott selbst zu tun haben“ (G. Ebeling).

Wer ist Christus für uns heute?

Was bedeutet das lutherische „was Christum treibet“ im Blick auf Mission und Dialog?

Anlage: „Mission. Erklärung des Evangelischen Gnadauer Gemeinschaftsverbandes“


Mission

Erklärung des Evangelischen Gnadauer Gemeinschaftsverbandes

Vorstand und Theologischer Arbeitskreis des Evangelischen Gnadauer Gemeinschaftsverbandes nehmen dankbar zur Kenntnis, dass „Mission“ in den vergangenen Jahren neu zum Thema in unserer Gesellschaft und in den evangelischen Kirchen geworden ist. Wir möchten zu dieser Frage die Stimme des innerkirchlichen Pietismus einbringen.

1.

Unsere Mission gründet in der Mission Gottes (missio Dei). Gottes Geschichte mit dem Menschen und seiner ganzen Schöpfung ist bestimmt und getragen von seiner liebenden Zuwendung. In Jesus Christus tritt er selbst in die Wirklichkeit seiner Geschöpfe ein, wird Mensch, um seiner Schöpfung Heilung und Heil und Menschen an seinem Leben Teilhabe zu schenken. Gottes Mission ist es, in Christus „zu suchen und zu retten, was verloren [gegangen] ist“ (Lk 19,10). Durch ihn will er Menschen für seine Liebe gewinnen, harte Herzen erweichen, Glauben wecken und mit Hoffnung auf sein Reich erfüllen. Durch den Geist beruft er Menschen zur Nachfolge Christi und befähigt sie zur Mitarbeit in seiner Gemeinde.

2.

Unsere Mission dient der Mission Gottes. Der Sendung des auferstandenen Christus verpflichtet (Mt.28, 18ff.) geht es darum, „die Botschaft von der freien Gnade Gottes auszurichten an alles Volk“ (Barmer Theologische Erklärung, 6.These). Dem dienen die verschiedenen Handlungsfelder der Kirche: z.B. Gottesdienst und Verkündigung, Seelsorge, Bildung, Diakonie, soziales und politisches Engagement.

Diese Arbeitsbereiche ergänzen sich wechselseitig. In ihnen gewinnt das Wort Gestalt - nicht nur hörbar, sondern auch sichtbar, erfahrbar, begreifbar. In einem solchen ganzheitlichen Verständnis des Evangeliums gehören Evangelisation und soziale Verantwortung aufs Engste zusammen (s. „Manifest von Manila“, 1989). Wir unterscheiden Versöhnung mit Gott von Versöhnung zwischen Menschen, wir unterscheiden Heil und Wohl, aber wissen uns im Gehorsam gegenüber der biblischen Botschaft beidem verpflichtet (vgl. „Das Evangelium unter die Leute bringen“, EKD-Text 68, III.4, S.22).

3.

Da die „Botschaft von der freien Gnade Gottes“ im Innersten ein personales Geschehen ist, hat sie die freie Antwort des Menschen zum Ziel. Deshalb muss das Evangelium zur Evangelisation werden, d.h. zur personal zugespitzten Einladung, sich auf Gott und seine Liebe einzulassen. So zielt Evangelisation als Ruf zur Entscheidung auf die Antwort des Glaubens und die gelebte Nachfolge, wohl wissend, dass Gott alleine, durch seinen Heiligen Geist, Glauben weckt und in die Nachfolge beruft.

Das geschieht auf vielfaltige Weise - von persönlichen Begegnungen bis hin zu besonderen Evangelisationsveranstaltungen. Der inhaltlich gebotene Stil der Evangelisation aber ist die Bitte: „So bitten wir nun an Christi Statt: Lasst euch versöhnen mit Gott.“ (2.Kor 5,20) Der Gestus der Bitte verpflichtet zu einer Ethik der Evangelisation, die sich aller Formen der Suggestion, der Manipulation oder des Druckes enthält und die dabei offen ist für eine breite Vielfalt an Methoden. Diese Einladung gilt in unserer Gesellschaft den Konfessionslosen ebenso wie den getauften Kirchenmitgliedern, die den Zusammenhang von Taufe und Glaube noch nicht als befreiende Gabe für ihr Leben entdeckt haben. Sie richtet sich schließlich auch an Angehörige anderer Religionen, denen wir in Toleranz und Demut die bittende Einladung zu Jesus Christus schulden.

4.

Der Charakter dieser Bitte wird unterstrichen, wenn unsere Mission eingebettet ist in unser authentisches Zusammenleben mit anderen Menschen (Konvivenz) und das ernsthafte Gespräch mit ihnen (Dialog). Das Miteinander der drei Dimensionen bewahrt diese vor Fehlformen. Mission ohne Konvivenz und Dialog ist rechthaberisch und arrogant. Konvivenz ohne Dialog und Mission vertritt de facto einen gleichgültigen Wahrheitspluralismus und Dialog ohne Konvivenz und Mission verfehlt die notwendige Inkulturation des Evangeliums.

Geschieht Mission hingegen im Zusammenhang von Konvivenz und Dialog, werden eigene Überzeugungen mit Lernbereitschaft verbunden, werden Gespräche durch verschiedene, auch kontroverse Positionen bereichert, bleibt das Zusammenleben lebendig, weil Auseinandersetzung geschieht.

5.

Von der biblischen Offenbarung her sind wir einem personal-ereignishaften Wahrheitsbegriff verpflichtet. In diesem Sinne bekennen wir Christus als die Wahrheit, durch welche der in ihm versöhnten Welt Heil zuteilwird. Christus sagt von sich: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben. Niemand kommt zum Vater, denn durch mich.“ (Joh 14,6) Das bedeutet: In der Begegnung mit Jesus kommt die Wahrheit ans Licht, auch die Wahrheit über uns. Es entsteht Wahrhaftigkeit. Diese Wahrheit ist nicht beliebig und zugleich verfügen wir nicht über sie. Als Christinnen und Christen erheben wir keinen Absolutheitsanspruch, sondern bezeugen Jesus Christus, der absoluten Anspruch auf jedes Leben hat - und vergessen dabei nicht, dass das zuerst für unser eigenes Leben gilt. Diese Haltung bewahrt vor Unverbindlichkeit und Gleichgültigkeit ebenso wie vor Intoleranz und Fanatismus.

Die biblischen Linien von Gottes allumfassender Barmherzigkeit einerseits und einem doppelten Ausgang des Weltgerichts andererseits wollen wir nicht auflösen, sondern wechselseitig aufeinander beziehen, weil so sowohl Gottes alle Erkenntnis übersteigende Souveränität als auch die der Ebenbildlichkeit des Menschen entsprechende Verantwortlichkeit festgehalten werden kann. Beide Sichtweisen haben in Jesus Christus, als Erlöser und als Richter, ihre Mitte und ihr Ziel.

6.

Das hier ausgeführte Verständnis von Mission und Evangelisation ist mit fundamentalistischen Positionen nicht vereinbar. Darunter verstehen wir eine verengte, teils auch aggressive Sicht von Glaube, Bibel und Welt; eine Lebens- und Sichtweise, die eben nicht differenziert, die die jeweils eigene Sicht von Glaube und Welt für göttlich inspiriert hält, die abweichende Meinungen nicht stehen lassen kann, sondern deren Vertreter sehr schnell als Irrlehrer und „ungläubig“ tituliert. Wir distanzieren uns von einem militanten Missionsverständnis, das den Eindruck erweckt, dass dessen Vertreterinnen und Vertreter nicht als bittende Dienerinnen und Diener Christi, sondern als Glieder eines Eroberungsfeldzuges unterwegs sind.

Zugleich weisen wir ausdrücklich jegliche öffentliche Berichterstattung und Argumentation zurück, die das Vertreten religiöser Überzeugungen - im Sinne des oben beschriebenen personal- ereignishaften und christozentrischen Wahrheitsbegriffs - mit Fundamentalismus gleichsetzt. Wir begegnen anderen mit Respekt und Toleranz und erwarten das auch umgekehrt. Eine plurale Gesellschaft ist davon abhängig, dass in ihr unterschiedliche Positionen nicht nur vorhanden sind, sondern auch vertreten werden - auch und besonders dann, wenn sie einander widersprechen.

7.

Wir sind uns bewusst, dass das Verb „missionieren“ in der Öffentlichkeit diskreditiert ist und oft im Sinne von „überstülpen“, „bedrängen“ oder „manipulieren“ missverstanden wird. Wir schlagen deshalb vor, das missionarische Anliegen durch weitere Formulierungen, die dem hier aufgezeigten Missionsverständnis entsprechen, auszudrücken. Zu denken wäre an „unseren christlichen Glauben bezeugen“, „zum Glauben an Jesus Christus einladen“, „die Liebe Gottes allen Menschen verkünden“. Unser Anliegen kann klar, werbend und zugleich freigebend beschrieben werden, etwa so, wie es Paulus im Gespräch mit Agrippa tut: „Ich wünschte vor Gott, dass über kurz oder lang nicht allein du, sondern alle, die mich heute hören, das würden, was ich bin, ausgenommen diese Fesseln." (Apg. 26,29)

Kassel im September 2010


  1. Dokumente zum Studientag 2015 

  2. „In äußerster Vereinfachung kann man sagen: 'Postmoderne' bedeutet, dass man den Meta-Erzählungen keinen Glauben mehr schenkt.“ (Lyotard: Das Postmoderne Wissen, 1986, 7/14.) 

  3. vgl. auch Jan Assmann: Moses der Ägypter. Entzifferung einer Gedächtnisspur, München – Wien 1998. Er beklagt die „Mosaische Unterscheidung“, die in den Bereich der Religionen die Unterscheidung zwischen wahr und falsch eingeführt habe. Damit sei das „Hass- und Gewaltpotential festgeschrieben (worden), das sich in der Geschichte der monotheistischen Religionen immer wieder aktualisiert hat.“ Wir müssen zurück nach Ägypten, das er gewissermaßen als gelobtes Land polytheistischer Freiheit preist. 

  4. Kundgebung zum Schwerpunkthema „Reden von Gott in der Welt - Der missionarische Auftrag der Kirche an der Schwelle zum 3. Jahrtausend“ in: Leipzig 1999. Bericht über die 4. Tagung der 9. Synode der EKD vom 7.-11. November 1999 5 

  5. http://www.bucer.eu/fileadmin/user_upload/pdfs/BQs/zu_BQ100-199/zuBQ172/2011_0628_Christian_Witness_comments_GT.pdf, 3. 

  6. Studienausgabe S. 26 

  7. „[...] weil Jesus selbst Gott - der Sohn - ist, darum ist seine ganze Verkündigung Botschaft seines eigenen Geheimnisses, die Christologie, das heißt Rede von der Anwesenheit Gottes in seinem eigenen Tun und Sein. Und wir werden sehen, wie dies der Punkt ist, der zur Entscheidung fordert und wie dies daher der Punkt ist, der zu Kreuz und Auferstehung hinführt.“ Joseph Kardinal Ratzinger: Jesus von Nazareth, Bd. 1, Freiburg 2006, S. 92 

  8. Jacob Neusner: Ein Rabbi spricht mit Jesus. Ein jüdisch-christlicher Dialog, Claudius Verlag, München 1997 S. 114 

  9. Eberhard Jüngel: Gott als Geheimnis der Welt, 1985, S. 519 

  10. so Arnold Stadler, in: Fokus 17, 2011, S. 59 

  11. Wenn es heißt „Beziehen wir den Platz, der uns zukommt! Dieser Platz ist die tiefe Angefochtenheit durch die Brüchigkeit und Zweifelhaftigkeit unserer kirchlichen und theologischen Positionen.“ hat man für die Wahrheit und Schönheit des eigenen Glaubens keine Sprache mehr. (s. Religionen, Religiosität und christlicher Glaube. Eine Studie, hg. von der Geschäftsstelle der Arnoldshainer Konferenz und dem Lutherischen Kirchenamt Hannover, 2. durchgesehene Auflage, Gütersloh 1991, S. 116.) Gänzlich anders formuliert es Michael Trowitzsch, bis 2010 Theologieprofessor in Jena: „Wenn Toleranz heißen sollte, dass dieser Anspruch Jesu relativiert oder durchgestrichen wird, dann müssen Christen, Theologen sagen: In aller Ausdrücklichkeit: Nein. Wohin man schaut im Neuen Testament: Es wird – mit Freude! – von der Offenbarung Gottes selbst geredet: »Das Wort ward Fleisch.« Und Christus ist »das Lamm Gottes, welches die Sünde der Welt trägt«. Die der Welt! Alles das sind Aussagen, die einfach von einer letzten, guten, unüberbietbaren Wahrheit wissen, vom Evangelium Gottes.“ (in: Interreligiöser Dialog, Mitteldeutsche Kirchenzeitung am 13. Okt. 2013) 

  12. so Jürgen Moltmann in einem Interview mit dem evangelischen Magazin „3E“. Er fordert deshalb eine Wiederentdeckung des Missionarischen. (s. http://www.epd.de vom 5. Febr. 2015) 

  13. Peter L. Berger, Pluralistische Angebote. Kirche auf dem Markt?, in: Leben im Angebot – Das Angebot des Lebens. Protestantische Orientierung in der modernen Welt, Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland, im Auftrag des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, hg. vom Kirchenamt der EKD, Gütersloh 1994, bes. S. 33 ff. 

  14. Ein Beispiel nennt Michael Trowitzsch: „Wer Gott sei, wird im Christentum und im Islam sehr unterschiedlich gesehen. Ob der maßgebliche Prophet, Mohammed, als Heerführer hervortritt oder ob Christus, Gottes Sohn, wehrlos am Kreuz stirbt - das ist eine fundamentale Differenz, die sich im Gottesbild unmissverständlich ausprägt.“ (ebd.) 

  15. Kirche im Veränderungsprozess – ekklesiologische und kybernetische Perspektiven. in: Wolfgang Ratzmann, Jürgen Ziemer: Kirche unter Veränderungsdruck. Wahrnehmungen und Perspektiven, Leipzig 2000, S. 108-112 

  16. Husserl hat die Lehre des Relativismus treffend charakterisiert: „sowie aufgestellt schon widerlegt“. (in: Gesammelte Werke Bd. XVIII. 1975, S. 123) 

  17. vgl. auch Peter Zimmerling: „Die postmoderne, zunehmend pluralistisch verfasste Gegenwart hat eine wichtige Erkenntnis neu zum Allgemeingut werden lassen: dass es zwischen allen Religionen eine Reihe von Gemeinsamkeiten gibt. Jede Bemühung, den christlichen Wahrheitsanspruch ins Gespräch zu bringen, muss von dieser Entdeckung ausgehen.“ in: Mission: begeistert und vielstimmig Tendenzen gegenwärtiger Missionstheologie Vortrag zur Tagung „Evangelisation und Mission“ anlässlich des 175. Jubiläums des evangelisch-lutherischen Missionswerkes Leipzig e.V. am 7. Mai 2011 in der evangelischen Akademie Meißen Amtsblatt der EVLKS, Jahrgang 2011 - Nr. 18, B 53 

  18. Zimmerling ebd. B 53. In der Frage der Heilsmöglichkeit außerhalb des christlichen Glaubens zitiert er Klaus Berger: „Das Weltgericht erstreckt sich auf alle Menschen und wendet für alle dasselbe Kriterium an. Das Kriterium ist Gerechtigkeit im Sinne des Ausgleichens zwischen Arm und Reich usw. Der Vorzug der Christen besteht nun aber darin, dass sie dank des Hörenkönnens auf Jesu Wort und also dank des Matthäus- Evangeliums selbst um die Kriterien des Gerichts schon jetzt wissen.“ 

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Prof. Johannes Berthold

Prof. Johannes Berthold ist seit September 1992 Professor an der Fachhochschule für Religionspädagogik und Gemeindediakonie am Evangelisch-Lutherischen Diakonenhaus in Moritzburg. Er ist Vorsitzender des Sächsischen Gemeinschaftsverbandes, der sich als Erneuerungsbewegung innerhalb der evangelischen Landeskirchen Sachsen und angrenzender Gebiete versteht.